Worum geht es eigentlich bei den Bauerndemonstrationen? Da schreibt die Süddeutsche Zeitung: „Die Landwirte demonstrieren für das Falsche“. Das eigene wirtschaftliche Überleben kann für die Landwirte wohl kaum das Falsche sein.
Die Landwirte bekommen doch schon diese ganzen Subventionen – was wollen die eigentlich noch?
Die Boston Consulting Group hat kürzlich ausgerechnet, dass die deutsche Landwirtschaft negative externe Effekte in Höhe von 90 Mrd. € pro Jahr verursacht. Das ist nahezu das 4,5 fache der gesamten landwirtschaflichen Bruttowertschöpfung, d.h. es werden 4,5 mal mehr negative Effekte produziert als gesamte Wert der landwirtschaftlichen Güterproduktion. Nehmen wir einmal an, die Zahl stimmt, dann bedeutet dieses, dass der Gesellschaft durch die Wirtschaftsweise irgendwann diese Kosten entstehen, aber nicht jetzt und nicht durch jeden also eher: nach uns die Sintflut. Da denkt man doch sofort: Diese Bauern, ich hab es schon immer gewusst, verpesten mit Ihrer Gier die ganze Umwelt – bekanntlich leben die Landwirte aber gar nicht in Saus und Braus, komisch.
Wer profitiert den also von diesen nicht in dem Preissystem enthaltenen Effekten? Kaum der Landwirt, der gerade nicht von üppigen Margen lebt. Im Wesentlichen profitieren die Verbraucher, die deutlich weniger Kaufkraft für Nahrungsmittel aufwenden müssen und die Industrie, die für dieses gesparte Geld andere Güter absetzen kann.
Würde man all diese Kosten bezahlen müssen und in den Produktpreis einrechnen und vereinfacht annehmen, die Produkte würde sich dann um diesen Wert verteuern, dann müssten Nahrungsmittel das viereinhalbfache kosten. Dafür könnten dann nicht mehr Konsumgüter anderer Art angeschafft werden, die wiederum anderen Nutzen stiften. Die Senkung der Nahrungsmittelpreise war Jahrzehnte lang von Politik und Industrie gewollt, letztlich auch, um den Wohlstand an anderer Stelle zu heben.
Durch die Freihandelsabkommen haben es die politischen Entscheidungsträger geschafft, dass die EU und Deutschland ihr Güter in immer mehr Länder der Welt exportieren können, um den Preis, dass unsere Märkte weiter für den Zollfreien Import von Nahrungsmitteln geöffnet wurden. Damit hat man sich jedoch eines wesentlichen Steuerungsinstrumentes für die Landwirtschaft beraubt, die ökologische Produktion durch direkte Produktbeihilfen zu subventionieren. Da der Anteil der Bionahrungsmittel in Deutschland nur mühsam über die 6% Marke klettert, wäre dies eine denkbare Strategie. Der Markt ist z.Z. überhaupt nicht reif für eine breite Umstellung, zu viele Käufer greifen zur billigen Ware und sollten sich die gesamtwirtschaftlichen Parameter verschärfen, wird das dem Biomarkt zuerst schaden.
Nun stellt man fest, diese Politik hat ja doch Auswirkungen auf die Umwelt und vor allem haben das auch die Wähler gemerkt. Natürlich ist der Sündenbock nicht weit – der Landwirt, der für all das verantwortlich ist.
Es ist von essenzieller Bedeutung, dass eine wie auch immer geartete Agrarwende bezahlt werden muss. Die politisch einfache Taktik ist, über immer mehr Vorgaben und Vorschriften das Handeln der Landwirte immer mehr einzuschränken und ihre Produktion zu verteuern, sie aber weiter auf den gleichen Weltmärkten mit den Ukrainern, Russen, Australiern, Brasilianern usw. konkurrieren zu lassen – das funktioniert nicht – das muss für jeden einleuchtend sein und deshalb gehen wir auf die Straße! Es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu entscheiden, wieviel eben diese Gesellschaft bereit ist für eine Agrarwende zu bezahlen.
Wir produzieren, was der Markt von uns fordert und der fordert zu 94% konventionelle Produkte zu günstigen Preisen! Und auch Bio muss günstig sein. Der Betrug mit falsch deklarierten Lebensmitteln ist für die Mafia heute ein viel einträglicheres Geschäft als der Handel mit Drogen! Immer wieder fallen große Getreidepartien aus Osteuropa auf, die die hiesigen Märkte schwer belasten, von Gemüse und Olivenöl ganz zu schweigen.
Kürzlich ist Biogetreidemarkt förmlich zusammengebrochen, weil viele Landwirte auf Bio umgestellt haben, der Markt jedoch nicht aufnahmefähig ist. Für 100 kg Roggen erlöst der Biobauer zurzeit nur 18,00 €, das sind nur 3,50 € mehr als für konventionellen Roggen bei 60% höheren Produktionskosten. Da helfen auch die zusätzlichen Subventionen nicht.
Für die Politik gibt es Umsetzungsprobleme auf vielen Ebenen. Das größte ist die Pfadabhängigkeit. Dies gilt nicht nur für die Landwirtschaft. Die z.Z. angewendeten Instrumente sind nicht mehr auf die Erreichung der gesellschaftlichen Ziele abgestimmt. Offenes Ansprechen der erheblichen Probleme und eine ehrliche Lösungssuche durch Ringen im politischen Diskurs steht bei der Presse und scheinbar auch bei der Leserschaft nicht hoch im Kurs. Zukunftsträchtige Ideen werden medial zerstört, wir trauen uns keine Veränderung.
Der große Wurf ist möglich – man muss Ihn nur wollen.